Ein Blog-Beitrag voller Emotionen
Ich hätte nicht gedacht, dass mein erster Blog-Eintrag so intensiv wird. Gleich zwei emotionale Themen gleichzeitig: Den ersten Beitrag über meine Schwimmliebe und open water swimming schreiben und zugleich den bewegendsten schwimmerischen Moment meines Jahres 2024 festhalten. Ich nehme euch deshalb mit auf eine Reise zurück nach Mallorca, dem Ort des bewegenden Geschehens.
Der Plan: Ein Sonnenaufgang im Meer
Ich bin Frühaufsteherin, immer und überall – und erst recht im Urlaub. Auf Mallorca hatte das im Sommer den Vorteil, der drückenden Hitze zu entkommen. Für mich gibt es kaum etwas Schöneres, als laufend neue Gegenden zu erkunden. Vor dem Start studiere ich die Karte grob, kalkuliere die Kilometer und plane eine Richtung. Kein Stress, keine Pace, nur Genuss und Entdecken.
Natürlich laufe ich am liebsten am Wasser, und wer Mallorca kennt, weiß: Der Nordosten mit der Serra de Llevant ist ein Traum. Felsen, Buchten, Pinienwälder – und überall dieses Licht, das morgens besonders magisch wirkt. Mein Lauf glich einer kleinen Berg-und-Talbahn, anstrengend, aber wunderschön. Doch nach drei Kilometern war Schluss: ein Aussichtspunkt, hoch oben über dem Meer.
Die Sonne wollte gerade aufgehen, was ich an der Feuerfärbung des Himmels erkennen konnte. Der Sonnenball selbst blieb aber hinter einem Berg versteckt. Egal, wie waghalsig ich mich über das Geländer des Aussichtspunktes lehnte, ich konnte ihn nicht sehen. Ein Weg um den Berg herum? Fehlanzeige. Ich hätte mindestens 20 Kilometer zurück und um das Kap laufen müssen. Dann die Erkenntnis: Den Sonnenaufgang an dieser Stelle kann ich nur vom Meer aus sehen. Schwimmend. Gleich in der Nähe gab es einen kleinen, felsigen Zugang zum Wasser. Mein Plan stand fest. Am nächsten Morgen würde ich dort starten, das Kap umschwimmen und den Sonnenaufgang mitten im Wasser erleben.
Tiefenangst und ein unvergesslicher Moment
Leider machte mir ein heftiger Wind die nächsten zwei Tage einen Strich durch die Rechnung: Ich bin keine Draufgängerin. Felsen, Wind und starke Wellen – das ist keine sichere Kombination.
Am dritten Morgen konnte ich mein kleines Abenteuer starten. Der Wind hatte sich beruhigt. Nach den ersten Metern schwimmend war ich überrascht, wie schnell es tief wurde. Nach ein paar Zügen war das Wasser dunkelblau, und tief unter mir sah ich den Meeresboden.
Hier kommt meine größte Schwäche ins Spiel: Tiefenangst. Seit vier Jahren schwimme ich im Freiwasser, aber immer in Ufernähe. Das Gefühl von Boden unter den Füßen – oder zumindest in erreichbarer Nähe – war für mich essenziell. Aber jetzt? Ich war außerhalb meiner Komfortzone. Da war nur ich, das Meer und diese scheinbar endlose Tiefe unter mir. Das altbekannte Gefühl von Beklemmung wollte in mir hochsteigen, gemischt mit leichter Panik. „Niemand bekommt mit, wenn ich hier sang- und klanglos untergehe.“ Aber dieses Licht hinter dem Berg war zu verlockend. Ich schluckte die Angst runter und schwamm weiter. Zug um Zug.
Und dann brach die Sonne über den Horizont. Das hat mich wirklich umgehauen. Es war eines der eindrücklichsten Erlebnisse. So feinsinnig, so erhaben. Gold in voller Verschwendung. Es fehlte nur noch der Sirenengesang vom Meer. Tränen habe ich geweint. Vor Glück, Ehrfurcht und Traurigkeit.
Grenzen überwinden
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnte: Dieser Sonnenaufgang im Mittelmeer würde mein Freiwasserschwimmen quasi revolutionieren.
Zurück in Berlin, ein paar Tage später. Ich schwamm eine meiner Stammstrecken in der Havel. Immer wieder schaute ich auf die andere Seite, zur wunderschönen Heilandskirche in Sacrow auf der Potsdamer Seite. Der Fluss ist hier nur 260 Meter breit, aber für mich mit meiner Tiefenangst war er bisher unüberwindbar. Wenn ich an der Kirche schwimmen wollte, musste ich 30 Minuten Autofahrt einplanen.
Doch an diesem Morgen dachte ich: „Was sind schon 260 Meter gegen das Mittelmeer?“ Und ich schwamm einfach los. Etwas ängstlich und nur brustschwimmend: Von West nach Ost, von Berlin nach Potsdam. Drüben, am anderen Ufer der Havel, vor der Heilandskirche, war ich überwältigt und habe ich wieder einmal geheult, dieses Mal aber nur vor Glück.
Ein neues Freiheitsgefühl
Der Sonnenaufgang auf Mallorca war mein schwimmerischer Mauerfall. Die Grenzen meiner Tiefenangst sind gefallen. Es mag groß klingen, aber für mich ist es das auch.
Jetzt brauche ich keine 30 Minuten Autofahrt mehr, um die Seite zu wechseln. Fünf Minuten schwimmen, und ich bin da. Das bisherige Freiheitsgefühl hat sich noch einmal verdoppelt. Es gibt für mich nichts Schöneres, als bei Sonnenaufgang durch die Havel zu vagabundieren. Dieses Glück, am Morgen am Ufer zu stehen und einfach in eine Richtung loszuschwimmen. Und wenn mir danach ist, dann wechsel ich die Seiten. Oder schwimme zu einer der vielen Havelinseln. Oder lege mich auf den Rücken und schaue in den Himmel. Das ist Freiheit, wie ich sie liebe. Und ich freue mich, sie mit euch zu teilen.
Und die Tiefenangst?
Sie ist nicht komplett weg. Ich suche immer noch die schmalste Stelle in unmittelbarer Nähe. Ich schwimme immer noch meistens Brust und nicht Kraul, wenn ich die Havel überquere – schon allein, um die Lastschiffe im Blick zu haben. Aber ich lasse mich von dieser Angst nicht mehr aufhalten. Sie ist nicht mehr der Boss, sondern ein stiller Begleiter, der mir nur ab und zu zuflüstert: „Bist du sicher?“ Und dann antworte ich: „Ja, ich bin sicher. Ich kann das.“
Denn am Ende zählt für mich nicht, ob die Angst weg ist. Es zählt, dass ich sie überwinde, dass ich mich traue, wieder und wieder. Jeder Schwimmzug über die Havel ist ein kleines, leises „Ich habe dich im Griff“ an meine Angst – und ein großes, lautes „Ich bin frei!“ an mich selbst.